Anna und die Wut: Eine Lösung für große Gefühle?
Es gibt Bücher, da bin ich mir mit den Kindern nicht ganz so einig. Das Buch “Anna und die Wut” von Christine Nöstlinger lieben meine beiden. Wahrscheinlich auch deshalb, weil die Protagonistin den selben Namen trägt wie einer ihrer Lieblingsmenschen – und natürlich, weil ihnen diese großen Gefühle nicht fremd sind ;-)
Mich stören einige Passagen darin etwas, aber wie Christine Nöstlinger selbst mal sagte:
“Aber Kinderbücher sind keine pädagogische Veranstaltung
sondern eine literarische. Und das wichtigste beim Kinderbuch ist
immer noch die Sprache und nicht was der Autor dem Leser
beibringen möchte.”
(Christine Nöstlinger im Gespräch mit Planet Interview, 2011 („Ich bin keine Erzieherin“)
Ich war schon als Kind ein Nöstlinger-Fan. Ich mag die direkte Art ihrer Figuren, dass sie sich kein Blatt vor den Mund nehmen (die Figuren und Christine Nöstlinger selbst), dass sie auch um schwierige Themen keinen Bogen macht. Mit meinen eigenen Kindern lese ich allerdings Bücher doch etwas kritischer.
Die Wut soll weg – oder: Erwachsene wissen auch nicht alles
Bei "Anna und die Wut" finde ich den Umgang der Erwachsenen mit Annas Wut recht schwierig. Die Wut soll weg. Jeder hat eine andere Lösung dafür: Der Papa empfiehlt runterschlucken. Das führt zu einem Wasserbauch und Schluckauf – und noch mehr Wut. Die Mama empfiehlt ihr aus dem Weg zu gehen. Also traut sich Anna nirgends mehr hin, weil ihr überall die Wut begegnen könnte. Erst der Großvater hat eine Idee, wie Anna die Wut herauslassen könnte, ohne sich oder andere zu verletzen: Eine Trommel.
Das Schöne an dem Buch ist, wie Nöstlinger die immer wütender werdende Anna sehr detailreich darstellt: Von den Seidenfransen, die zu Igelstacheln werden über die hellgrauen Augen, die rabenschwarz werden und den immer roter werdenden Kopf. Wie Unbeteiligte (die Katze, die Eltern, helfen wollende Kinder) von Annas Wut getroffen werden. Schön ist auch, wie die Erwachsenen mit ihren wahnwitzigen und nicht praktikablen Ideen als Menschen rüberkommen, die auch nicht alles wissen. Anna gibt sich wirklich Mühe, die wenig hilfreichen Vorschläge umzusetzen. Aber das Ziel bleibt: Die Wut muss weg!
Die Idee vom Opa ist dann zwar hilfreich, mit ihr findet Anna sogar Anklang bei den Kindern, die sie vorher deshalb aufgezogen haben, aber die Grundidee bleibt: Irgendwie muss Anna die Wut loswerden. Und das ist für mich auch das Traurige an dem Buch: Niemand redet mit Anna darüber, wo die Wut denn eigentlich herkommt oder dass Wut genauso wie Freude ein Gefühl ist, dass eine Daseinsberechtigung hat.
Wut ist nur DEIN Problem?
Das unterstreicht auch eine andere Szene in dem Buch: Die Kinder im Park lachen "den Wutzwerg" schadenfroh aus – so als ob sie selbst nie wütend werden würden. Sie hänseln sie und werden übergriffig (zerren Anna an Händen und Füßen durch den Park). Niemand thematisiert DAS, es geht allen nur darum, dass Anna ihre Wut "in den Griff" bekommt. Ich denke mir bei dieser Szene immer: Kein Wunder, dass Anna ständig wütend ist, bei so viel Ignoranz (und Integritätsverletzung).
Klar kann nicht jedes Kinderbuch alle Facetten abbilden, aber die verkürzte Darstellung finde ich trotzdem schwierig: Annas Wut ist das Problem, das weg muss – alle anderen haben sich “im Griff”. Ich finde es auch wirklich schwierig, wenn in Kinderbüchern solche Übergriffe (Auslachen, Festhalten) als “normal” dargestellt werden. Das sollte es nämlich nicht sein. Ja, es kommt vor, aber es ist nichts, das Kinder einfach als gegeben hinnehmen sollten.
Anna und die Wut*
Fischer Sauerländer Verlag
Christine Nöstlinger (Autorin)
Christiane Nöstlinger (Illustration)
ISBN: 978-3737360678
Empfohlenes Alter: ab 4 Jahren
ca. 13 Euro
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