Puppen sind doch nichts für Jungen!
Der sympathische Picus-Verlag hat mir dieses Buch als Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt. Eigentlich hatte ich eine Geschichte über einen Jungen erwartet, der gerne mit Puppen spielt und vielleicht die Schwierigkeiten, die sich ihm dadurch stellen – das Buch ist aber so viel mehr als das. Trotz der kurzen Texte und wenigen Seiten ist es eine facettenreiche Geschichte über unerwünschte Geschenke und “betriebsblinde” Erwachsene.
Die komische Tante, die auch im Haus Mütze trägt, kommt auf eine eigenartige Idee. Sie schenkt dem kleinen Bruder des Erzählers eine Puppe aus Stoffresten. Das Eigenartigste daran ist für den großen Bruder, dass der kleine die Puppe auch noch mag. So gern sogar, dass er sie mit in die Schule nehmen möchte.
Papa ist im Zwiespalt – wann ist ein Junge ein Junge?
Zunächst tut der Vater die Freude am Geschenk noch mit “das geht wieder vorbei” ab. Solange der kleine Nico die Puppe zuhause “betreut”, ist es noch in Ordnung, als er damit “an die Öffentlichkeit” gehen will, wird es kritisch. Puppen sind ja “kein echtes Jungenspielzeug”. Die Mama versucht es mit “guten Argumenten” – die Puppe hätte doch keinen Puppenwagen und sei doch zu klein, um selber zu gehen. In die Argumentation grätscht allerdings der große Bruder rein: Nico könne die Puppe ja auch tragen. Dieser hilfreiche Vorschlag wird umgehend mit bösen Blicken der Erwachsenen bestraft.
Wenn Erwachsene kindisch werden – und die Kleinen groß sein müssen
Papas Bestechungsversuch, ein richtig cooles Bubenspielzeug zu kaufen, geht nicht wirklich auf. Nico weiß sofort, was er will: einen Puppenwagen. Dass der große Bruder – eigentlich sehr vor(rollen)bildlich – zur Ritterfigur greift, fällt dem Papa da gar nicht mehr auf. Er ärgert sich über die Kosten, die (seiner Meinung nach) die Schwägerin verursacht. Der Puppenwagen kommt natürlich gar nicht in Frage, jetzt muss der Papa auch das noch selbst in die Hand nehmen, ein “normales Geschenk” aussuchen. Es wird ein echter Werkzeugkasten. Nico ist enttäuscht, die Erwachsenen streiten, der eigentlich gar nicht so große Bruder besticht durch seine enttarnenden Beobachtungen und seine Fürsorge für seinen kleinen Bruder.
Jungenspielzeug und doch kein Spielzeug?
Als Nico sich dann doch für das von Papa ausgewählte “Spielzeug” interessiert, hat Papa gerade keine Zeit. Aber Nicos Experimente (mit dem Hammer trommeln, am Stuhlbein sägen) werden nicht besonders gern gesehen. Wieder gibt es Streit zwischen den Eltern, wieder rettet der große Bruder die Situation.
Eltern können so “betriebsblind” sein
Jean-Luc Englebert illustriert die Konflikte der Erwachsenen – vor allem jenen des Vaters – so wunderbar. Mit wenigen Strichen trifft er die Ratlosigkeit und die verärgerten Blicke der Eltern, die Verwirrung und verschwörerischen Blicke der Brüder.
Sein großartigster Beitrag zur Geschichte ist aber, dass der so kritische und auf Rollenklischees bedachte Vater, diesen Klischees eigentlich so überhaupt nicht entspricht: Englebert zeigt ihn, wie er seinen Söhnen Cornflakes reicht, Schuhe zubindet und den Abwasch erledigt. An einer Stelle fragt ihn seine Frau, warum der kleine sich denn nicht um ein Puppenbaby kümmern soll, wenn er – der Vater – es doch selbst auch getan hat.
Wunderbar entlarvend aus dem Alltag gegriffen
Ludovic Flamant gelingt es mit wenigen Worten klassische Konfliktsituationen auf den Punkt zu bringen: Die Diskussionen der Eltern, ihre tollpatschigen Versuche, den Kindern ihre Glaubenssätze unhinterfragt überzustülpen, all das erzählt von der erfrischend entlarvenden Ehrlichkeit eines Kindes. Bei mir hinterlässt das Buch den Gedanken: Wir dürfen alle ein bisschen genauer hinschauen, was wir unseren Kindern so vorleben ;-)
Puppen sind doch nichts für Jungen *
Picus Verlag
Ludovic Flamant (Autor) Jean-Luc Englebert (Illustration)
ISBN: 978-3854521976
Empfohlenes Alter: 4 bis 6Jahre
ca. 13 Euro
(Das kleine Bild verlinkt auf Amazon.*)